Als ich vor gefühlten 100 Jahren meine Ausbildung gemacht habe, war sie meine beste Freundin. Damals habe ich über die Definition von "beste Freundin" auch nicht weiter nachgedacht. Wir hatten viel gemeinsam und wir verstanden uns gut. Dann bin ich aus der Stadt weg gezogen. Anfangs habe ich immer wieder Briefe geschrieben und angerufen, um weiterhin mit ihr in Kontakt zu bleiben. Von ihr kam selten ein Anruf und Briefe hat sie schon gar nicht geschrieben. Irgendwann hatten wir immer weniger gemeinsam. Ich habe mich in den letzten Jahren auch weiter entwickelt, sie eigentlich gar nicht. Bei ihr ist immer alles gleich geblieben. Wir telefonierten immer weniger und schließlich hat sie sich gar nicht mehr gemeldet. Tja... was sollte ich da auch tun?
Als wir vom Dorf in die Stadt umgezogen sind, habe ich ihr eine Umzugskarte mit neuer Anschrift und Telefonnummer geschickt. Wir telefonierten zweimal. Die Gespräche verliefen aber immer gleich ab. Sie fragte mich immer wieder das selbe und schien mir überhaupt nicht zuzuhören. Das nervt auf die Dauer. Das letzte Telefonat hatten wir vor gut 2 1/2 Jahren. Da kündigte sie an, daß sie mich besuchen wollte. Da ich mit meinem Freund zusammen wohne, kann ich nicht kurzfristig ein Übernachtungsbesuch aufnehmen. Das muß ich planen. Außerdem habe ich eine Arbeit, die mich voll in Anspruch nimmt. Da kann ich auch nicht einfach so von heute auf morgen weg bleiben. Offensichtlich hatte sie kein Verständnis dafür, wenn ich ihre Reaktion richtig deutete. Immerhin ist sie arbeitslos und das schon seit mindestens 5 Jahren. Als Arbeitslose hat sie viel Zeit und sie geht davon aus, daß ich genauso viel Zeit habe wie sie. Sie ist halt ziemlich egoistisch.
Samstag hat sie mich angerufen. Ich habe mich wirklich gefreut, mal wieder ihre Stimme zu hören. Mittlerweile ist sie Mutter einer Tochter, hat sich von ihrem langjährigen Freund getrennt und wohnt jetzt mit dem Kindsvater zusammen, von dem sie sich aber auch wieder trennen will. Ihre ganze Geschichte von der plötzlichen und unerwarteten Schwangerschaft, die sie angeblich nicht bemerkt haben will, klingt so unglaubwürdig. Ich glaube, sie hat mich die ganze Zeit angelogen, warum weiß ich allerdings nicht. Es ist doch wirklich sehr unglaubwürdig, daß man mit 40 Jahren plötzlich und einfach so schwanger wird. Viele Frauen versuchen verzweifelt schwanger zu werden, die Mitte 30 sind und die biologische Uhr tickt. Mein Frauenarzt hat mir neulich versichert, daß man mit 40 nicht mehr "aus Versehen" schwanger wird. Das ist fast unmöglich. Sie muß es darauf angelegt haben, ihm ein Kind unterzuschieben. Das finde ich ziemlich mies. Ich fand die ganze Unterhaltung ohnehin ziemlich anstrengend, weil ihr Kind ständig heulte und schrie. Teilweise mußte ich nachfragen, weil sie alles übertönt hatte. Wenn ich angeblich ihre beste Freundin bin, dann frage ich mich doch, warum sie mich so dermaßen anlügt. Außerdem frage ich mich, warum sie sich so lange nicht gemeldet hat. Einer Freundin teilt man doch mit, wenn man sich von seinem langjährigen Freund trennt, wenn man umzieht oder wenn man schwanger wird. Oder liege ich da falsch? Ich verstehe es einfach nicht. Ich könnte mir nur vorstellen, daß sie jetzt keinen mehr zum Reden hat und deshalb wieder angerufen hat. Sie hat sich mehrfach für das Kindergeschrei entschuldigt und meinte, daß die meisten ja kein Verständnis dafür hätten. Verständnis habe ich schon dafür. Das Kind kann sich nicht anders ausdrücken, denn sprechen kann es ja noch nicht. Aber es nervt trotzdem tierisch, wenn man teilweise sein eigenes Wort nicht versteht.
Das Gespräch war auch wieder echt typisch. Sie fragt erstmal die wichtigen Dinge ab, nämlich, ob ich noch mein Auto, meine Wohnung, meinen Job und meinen Freund habe. In genau dieser Reihenfolge. Sie klopft erst mal das Finanzielle ab - so ist sie eben. Mich hatte auch interessiert, ob sie immer noch arbeitslos ist oder nicht. Aber mit Kind wird sie ja wohl kaum einen neuen Job bekommen. Sie sieht sich als allein erziehende Mutter, obwohl sie mit ihrem "noch-Partner" zusammen lebt und keinesfalls alleine ist. Auf die Frage nach meiner Gesundheit habe ich ihr von meiner Diabetis erzählt. Das interessierte sie überhaupt nicht. Aber wie ich so viel Gewicht abnehmen konnte, war genau ihr Thema. Von meinem Bandscheibenvorfall haben ich erst gar nicht angefangen, da es sie ohnehin nicht ineressiert. Sie fragt mich nur immer wieder, ob ich kurze oder lange Haare habe. Hallo? Wir haben uns seit über 10 Jahren nicht gesehen und sie fragt nach meiner Frisur? Gibt es denn nichts wichtigeres als die Haarlänge? Angeblich hat sie sich so verändert, seitdem sie Mutter geworden ist. Hm, mir ist nur aufgefallen, daß sie immer noch genauso oberflächlich und egositisch ist wie früher.
Damals habe ich es wohl nicht so gemerkt. Da war ich auch noch ganz anders drauf. Mit der Zeit setzt man auch andere Prioritäten. Man verändert sich. Man entwickelt sich und das Leben prägt einen. Nach diesem Gespräch habe ich mich gefragt, warum sie überhaupt angerufen hat. Aus welchem Grund? Und warum kann sie nicht einmal die Wahrheit sagen? Ich finde das alles ziemlich unbefriedigend und eine Freundschaft ist das nicht für mich.