Meine Brieffreundin

Seit einigen Jahren habe ich eine Brieffreundin. Als ich ganz alleine in diese Stadt zog, war ich sehr einsam und habe mir über eine Zeitungsannonce eine Brieffreundin gesucht. Wie es sich raus stellte, wohnte sie nicht weit weg und so haben wir uns auch persönlich getroffen. Wir waren uns sympatisch und haben uns seitdem immer mal wieder getroffen. Sie hat lange Zeit als Postbotin gearbeitet und mir von ihrem wahnsinnig stressigen Touren erzählt. Sie fühlte sich total überfordert, den ganzen Tag Briefe in kleine Schlitze zu stecken. Verstanden habe ich das bis heute nicht. Immerhin ist es keine wirklich anspruchsvolle Tätigkeit und viel nachdenken muß man dabei eigentlich auch nicht. Wenn wir uns nicht treffen konnten, haben wir Briefe geschrieben. Hanna hat oft ihre Briefe an mich zu einem Treffen mitgebracht und mir dann alles nochmal erzählt, was sie bereits im Brief geschrieben hat. Zuerst war ich sehr erstaunt, daß ich alles noch mal schwarz auf weiß gelesen hatte, was mir Hanna bereits erzählt hatte. Sie ist eben eine sehr merkwürdige Brieffreundin.

Wir hatten von Anfang an nicht viele Gemeinsamkeiten. Ich wollte einfach nicht alleine sein in der großen Stadt und brauchte jemand zum reden. Bei ihr schien es ähnlich zu sein. Hanna redet und bewegt sich wie eine Schlaftablette, also unglaublich langsam. Sie spricht ohne Betonung, selbst wenn sie sich über irgend etwas aufregt. Anfangs haben wir viel über Männer hergezogen. Wir haben uns von unseren gescheiterten Beziehungen erzählt und uns gegenseitig bemitleidet. Wir wollten beide keine Kinder haben, aber einen Partner fürs Leben. Das war so ziemlich alles, was wir an Gemeinsamkeiten hatten.

Mittlerweile bin ich mit meinem Freund bereits knapp 12 Jahre zusammen und bin mit meinem Leben recht zufrieden. Hanna ist mit ihrem Ex-Ex-jetzt-Mann auch schon einige Jahre verheiratet und hat zwei Kinder, mit denen sie total überfordert ist. Gemeinsamkeiten haben wir jetzt überhaupt keine mehr. Manchmal frage ich mich, warum ich ihr überhaupt noch schreibe. Aber dann lese ich wieder ein Brief von ihr und es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Ihre Briefe haben eine gewisse Komik. Das läßt sich nicht abstreiten. Wenn man alles nicht so ernst nimmt, kann man kräftig drüber lachen. Manche Passagen sind nicht ganz so witzig und veranlassen mich nur, meine Augenbrauen hochzuziehen und in meinem Antwortbrief nachzufragen. Sie schreibt immer nur bruchstückhaft und ich muß mir dann den Rest zusammen reimen. Das ist teilweise schon sehr anstrengend. Heute kam wieder ein Brief, den ich erst mal verdauen muß. Hannas Leben besteht nur noch aus dem Tagesablauf ihrer Kinder. Das ist wirklich tragisch.

Es wird Frühling

Sonntag war der kalendarische Frühlingsanfang. Der Himmel war grau und es nieselte den ganzen Tag. Auch gestern änderte sich kaum etwas. Es war alles andere als frühlingshaft. Heute sieht es schon seit heute früh sehr stark nach Frühling aus. Die Sonne scheint schon den ganzen Tag. Gut, es ist höchstens 10 Grad, aber es sieht trotzdem schon sehr stark nach Frühling aus. Die Tulpen kommen langsam raus und die ersten Schneeglöckchen blühen. Als wir Sonntag einen Spaziergang machten, habe ich sogar ein paar Bäume gesehen die austreiben. Außerdem überflog uns ein Schwarm Wildgänse. Das laute Gekreische und die V-Vormation der Gänse war sehr eindrucksvoll. Wenn die Wildgänse aus ihrem Winterquartier kommen, dann wird es bald warm. So viel ist jedenfalls sicher. Das ist wirklich toll. Es rieht auch draußen irgendwie nach Frühling. Herrlich.